Wertschöpfung Bottom-up

Über szientometrische Verlagstools im Forschungsmanagement

Dawid Kasprowicz

Illustration: Matthias Seifert

Zu Beginn der Woche ging eine Mail an die Mitarbeiter:innen des Lehrstuhls. „Möchte jemand hingehen? Könnte interessant für uns sein.“ Die Mail war allgemein gehalten. Eine gewisse Erwartung an die Mitarbeiter:innen, den Termin wahrzunehmen, konnte man zwischen den Zeilen nicht herauslesen. Anfang der Vorlesungszeit, voller Kalender, aber dennoch: Ich folgte der Einladung. Denn das Thema war umso konkreter: Optimierung der Publikations- und Kollaborationstätigkeiten durch bibliometrische und szientometrische Tools. Kurzum: Systematische Erfassung von relevanter Forschungsliteratur, Bilanzierung von Themen-Trends in Graphen, Bestimmung der Gewichtung von Ländern und Disziplinen zu neuen Forschungsthemen durch Tortendiagramme, Verortung der wichtigsten Communities zu aktuellen Fragestellungen durch historisierte Zitationsverläufe – womöglich etwas, dass für Drittmittelanträge mühsam aufgearbeitet und im jeweiligen Dokument unter „Forschungsstand“ eingearbeitet werden muss. Das klang hilfreich.

Drei Tage später begann also der Workshop zum digitalen Verlagstool des niederländischen Verlages Elsevier mit dem Namen „SciVal“.  Entgegen meiner Erwartung stand aber nicht die individuelle Nutzung von Forscher:innen im Vordergrund, sondern die möglichen Chancen für die Universität als Forschungsinstitution und Antragsteller. In der ersten Reihe nahm der Forschungsdekan der Universität sowie die Leitung des Forschungsservices Platz. Ein Vertreter der Firma Elsevier stellte das Tool vor, das aus vier Bausteinen mit den Namen „Overview“, „Benchmarking“, „Collaboration“ und „Trends“ besteht. Schnell wurde klar, dass es um die Vermarktung eines Tools ging, das in erster Linie großen Institutionen dazu dienen soll, maßgeschneiderte Informationen für große Förderprogramme wie z.B. die Exzellenz-Initiative zu erhalten. In solchen Formaten muss die Ausnahmestellung der Universität (oder besser: ihr Unique Selling Point) durch Internationalisierung und eine nachhaltige Vorreiterrolle in den Forschungsgebieten, die sie ins Rennen schickt, deutlich gemacht werden. Operativ stellen sich dann folgende Fragen: Wie lässt sich der Stellenwert eines internationalen Kollaborationspartners in seinem Forschungsfeld ermitteln? Welche Art von Kooperationen haben die Institute, die in meinem Fach die Benchmark darstellen? Mit welchen Themen liegen wir über dem Durchschnitt, was die Zitationen mit impact factor angeht? 

Nun liegt es in der Natur des Forschungswettbewerbes, dass auch große Antragsteller wie Universitäten die geeigneten Tools für ihre Anträge finden. Das Verlagstool „SciVal“ macht allerdings zwei Probleme deutlich, die mit der systematischen Szientometrisierung akademischer Publikationspraktiken durch private Anbieter einhergehen: Zum einen ist es die Datenbank „Scopus“, mit der das Verlagstool „SciVal“ versehen ist. Bei „Scopus“ handelt es sich um eine teils lizenzpflichtige Datenbank, die ebenfalls zu Elsevier gehört und die Abstracts und Zitationen von 5000 Verlagen aufführt. Zahlreiche Wissenschaftler:innen, die nicht zuletzt für ihre Förderung um eine Quantifizierung ihrer publikatorischen Reichweite bemüht sind, greifen somit auf „Scopus“ zurück.  Die Integration des persönlichen Outputs in „Scopus“ ist also auch Grundlage für Tools wie „SciVal“ – die quantifizierten Qualitätskriterien der Wissenschaft stellen damit die Bedingung für neue Wertschöpfungsketten privater Anbieter.

Zum andern ist der Umstand, dass Universitäten oder ganze Institute als Antragsteller auftreten können, in erster Linie ein wissenschaftspolitischer Effekt, der durch die Kriterien bundesweit ausgeschriebener Förderprogramme ausgelöst wird. Förderwürdigkeit, wie z.B. in der Exzellenz-Initiative, zeichnet sich dabei auch durch eine internationale Reputation und Vernetzung aus – Leitindexe, die sich in einem über Benchmarks und Trends gegossenen Outreach ermitteln und über disziplinäre Grenzen hinweg vergleichen lassen. Um den Outreach – und den seiner möglichen Konkurrenz – ermitteln zu können, werden Lizenzen für Tools wie „SciVal“ erworben und Einführungsveranstaltungen für das Forschungsmanagement der Universität veranstaltet, in die sich auch einige Forscher:innen verirren. Knapp ein Drittel der deutschen Exzellenzuniversitäten hat, wie ich erfuhr, eine SciVal-Lizenz, andere nutzen Anbieter wie „Web of Science“, die ähnliche Tools anbieten. Von Seiten der Hersteller hat man zu Beginn der Schulung versichert, dass eine deutsche Exzellenz-Universität für ihren erfolgreichen Antrag „SciVal“ verwendet hat.

Es ist daher möglich, dass viele deutsche Universitäten, die sich auf größere Förderlinien bewerben, hier an die Verlage herantreten und individuelle Beratung erwerben – wobei der umgekehrte Weg wahrscheinlicher ist. Damit setzt eine wissenschaftspolitische Agenda auch das Begehren, solche Informationen über die Forschungspraxis als Benchmarks generieren zu können. Und das mit Mitteln, die anderen Universitäten – aufgrund der Kosten oder des fehlenden Personals im Forschungsservice – nicht zur Verfügung stehen. Es bleibt langfristig die Frage, ob es universitäre Alternativen zu den Forschungstools der privaten Anbieter geben wird und wenn ja, welchen Benchmark-Kriterien darin gefolgt wird. Es ist wohl eher nicht davon auszugehen, dass die Wissenschaftspolitik ihre Vorliebe für quantifizierbare scientific impacts als Leitindexe der exzellenten Forschung zügeln wird.