Call for Papers Jahrbuch Technikphilosophie 2025

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JTPhil 2025: Täuschung und Illusion

Ist Behauptetes falsch, fühlen wir uns getäuscht. Vermag ein Artefakt uns etwas Wundersames vorzuspielen, sprechen wir – nicht selten bewundernd – von gelungener Illusion. Fake also … ambivalent? Fotos von Personen, die nicht existieren, Videos, die reale Personen zeigen, wie sie Dinge sagen, die sie nie sagten, Posts, die Wut artikulieren oder Produkte bewerten, stammend jedoch von Bots: In jüngerer Zeit zeigt sich das enorme Potenzial namentlich von KI, zu Täuschungszwecken eingesetzt zu werden – sei es aus ökonomischen, politischen, ästhetischen oder bloß spielerischen Gründen. 

Der Schwerpunkt der JTPhil 2025 tritt hier jedoch einen Schritt zurück. Gefragt wird nach dem systematischen und gerade auch historischen Ineinander, vielleicht sogar Zusammenhang von Täuschung, Illusion und Technik. Denn ob es um die Geschichte des Maschinenbegriffs geht, die in die neuzeitliche Darstellung wunderbarer und theatralischer Effekte führt, oder ob man, umgekehrt, den Begriff Technik, wie bei Hegel oder Sachsse, von vornherein als List versteht: Technik und Täuschung verweisen nicht erst seit Generative Adverserial Networks (GAN) oder den Halluzinationen von Large Language Models (LLM) aufeinander. Mythos und Theater, Feuerwerk und Gartenbau, erzieherische Strategie und Experiment, Malerei und Messung bieten eine reiche Geschichte, die dies belegt. 

Ließe sich die Geschichte der Technik als eine Fortschrittsgeschichte der Täuschung lesen? Oder bedarf es neuer Techniktheorien der Unterscheidbarkeit von Täuschung und Illusion? Zudem gehören zu funktionierender Technik ja auch Verlässlichkeit und Vertrauen – weswegen auch Täuschungszwecke gewissermaßen seriös ins Werk gesetzt sein wollen. Je komplexer der Illusionseffekt, je anspruchsvoller also womöglich die Technik „dahinter“? So mag die spontane Lüge zwar ohne besondere Mittel auskommen. Die Geschichte von Täuschung und Illusion treibt jedoch Erfindung, Innovation und virtuose Nutzung von Technik – wie auch von Technikkritik und Entlarvungstechniken – voran.

Technik, Schein und Wirklichkeit

Nun wird die Rede von neuen technischen Täuschungsmöglichkeiten häufig so verstanden, dass innerhalb einer feststehenden Unterscheidung von Schein und Wirklichkeit neue Optionen der Täuschungen entstehen. Eine weitergehende These wäre demgegenüber, dass die Unterscheidung von Schein und Wirklichkeit sich mit den technischen Täuschungsmöglichkeiten verändert. Sie betreffen also nicht Phänomene innerhalb dieser „Bereiche“, sondern deren Grenzziehung selbst. 

Drei Überlegungen mögen dies erläutern: 

  1. Der Grenzverlauf zwischen Täuschung und Wahrheit ist historisch kontingent. Wo die Unterscheidung zwischen täuschend und wahr verläuft, ist nicht statisch. Es verändert sich folglich nicht nur, was jeweils materiell als Täuschung und als Wahrheit bestimmt wird, sondern die Grenze, die beides trennt, unterliegt einem Wandel – und dieser Wandel ist an Techniken gebunden, wie die Geschichte des Mikroskops, Teleskops oder der Gestaltfiguren zeigen. 
  2. Die Leitunterscheidungen unterliegen einem historischen Wandel: Täuschung mag als Lüge, als Irrtum, als Simulation, als Illusion oder als Suggestion verstanden werden. Sie kann in Opposition zu Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Originalität, Authentizität, Eindeutigkeit, Gewissheit betrachtet werden. 
  3. Die Grenzfigur selbst weist eine Variabilität auf. Neuzeitlich erscheint die Trennung von Täuschung und „Wahrheit“ vor allem in Teilen der neuzeitlichen Philosophie und dann in den Naturwissenschaften als ein binärer Gegensatz. Etwas ist entweder eine Täuschung oder nicht, unentschieden ist dies allenfalls für einen Beobachter. Im Unterschied dazu gehen wir von der Hypothese aus, dass die vermeintliche Binarität eine historisch bedingte Grenzfigur darstellt. Gebiete des Scheins galten vorneuzeitlich als Teil der Wirklichkeit, nicht als Unentschiedenheit ihres Beobachters. Statt einer binären Linie, die Täuschung und „Wahrheit“ trennt, kann folglich auch eine variable Zone „dazwischen“ bestehen. 

Mögliche Aspekte

Der Schwerpunkt lädt ein, Beiträge einzusenden, sich bspw. folgenden Themen widmen: 

  • Technikgeschichte als Geschichte technischen Fortschritts von Täuschungsmitteln 
  • das Arms Race zwischen Techniken, die Täuschungsmöglichkeiten eröffnen, und Techniken, die Täuschungen aufdecken  
  • spezifische Technologien zu Generierung von Illusionen
  • spezifische Technologien, Täuschungen zu erkennen (z.B. physiologische oder KI-Lügendetektoren)
  • die technologisch formatierte begriffliche Struktur von Täuschung, Illusion, Finte, List, Camouflage, Desinformation und Manipulation
  • Täuschungen, die intentional sind, im Unterschied zu Irrtümern, die unterlaufen oder erwartungsbedingten Selbsttäuschungen, als auch strukturellen Täuschungen (Medien, die nicht-intendiert täuschen)
  • Differenzen zwischen Täuschung/Illusion sowie Täuschung/Fehlfunktion oder auch Kopie/Fälschung an konkreten technischen Beispielen diskutiert und weiterentwickelt.

Diese und wahlverwandte Fragen will das Jahrbuch Technikphilosophie in einem mit der Zeitschrift Technikgeschichte gemeinsam geplanten Schwerpunktheft diskutieren und lädt hiermit Autor*innen zu Einsendungen auf.

Rahmendaten

Über den Schwerpunkt hinaus publiziert das Jahrbuch auch technikphilosophische Abhandlungen zu frei wählbaren Themen und Rezensionen einschlägiger Publikationen. Weitere Informationen finden sich auf der Homepage jtphil.de. Manuskripte in deutscher, englischer oder französischer Sprache können bis zum 15. Januar 2024 eingereicht werden und sollten nicht mehr als 45.000 Zeichen inkl. Leerzeichen und Fußnoten) umfassen. Ein Begutachtungsverfahren (double blind peer review) stellt die Qualität der Abhandlungen sicher. Es besteht die Möglichkeit, bis zum 15. Oktober 2023 Themenskizzen (Abstracts) für Beiträge oder Kontroversen einzureichen, um vorab ein redaktionelles Feedback zu den Manuskriptvorschlägen zu erhalten.

Einsendungen richten Sie bitte per E-Mail an die Redaktion: Mail to

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Call for Papers Jahrbuch Technikphilosophie 2025

Deception and Illusion

If what is claimed turns out to be false, we feel deceived. If an artifact is able to pretend something miraculous, we speak – often admiringly – of a successful illusion. So, is fake… ambivalent? Photos of people who don’t exist, videos showing real people saying things they never said, posts expressing anger or reviewing products originating from bots: Recently, the enormous potential of AI, particularly for deception, has become apparent may it be for economic, political, aesthetic or merely playful reasons.

However, the special issue of the JTPhil 2025 seeks to take a step back. It aims to inquire the systematic and, importantly, historical interplay, perhaps even connection of deception, illusion, and technology. Whether it is the history of the machine concept, which leads into the modern representation of miraculous and theatrical effects, or whether the concept of technology, as in Hegel or Sachsse, is understood from the outset as a ploy: technology and deception refer to each other not only since Generative Adverserial Networks (GAN) or the hallucinations of Large Language Models (LLM). Myth and theater, fireworks and horticulture, educational strategy and experimentation, painting and measurement offer a rich history that attests to this. 

Could the history of technology be read as a history of the progress of deception? Or do new theories of technology need to distinguish between deception and illusion? Additionally, reliability and trust are crucial to the functioning of technology which is why the purpose of deception requires a certain degree of seriousness. The more complex the illusion effect, the more sophisticated the technology “behind” it? While no special means are required for a spontaneous lie, the history of deception and illusion drives invention, innovation, and the virtuoso use of technology as much as it propels criticism of technology and the development of counter-techniques designed to reveal deception. 

Technology, Appearance, and Reality

The discussion of new technical possibilities for deception is often understood in such a way that new options of deception emerge within a fixed distinction between appearance and reality. A more advanced thesis, however, would be that the distinction between appearance and reality changes with the technical possibilities of deception. Thus, they do not concern phenomena within these “realms”, but draw the boundary itself. 

Three considerations may explain this: 

  1. The boundary between deception and truth is historically contingent. Where the distinction between deceptiveness and trueness is drawn is not static. Consequently, not only does what is materially determined as deception and truth change, but the boundary that separates the two is subject to change. And this change is tied to techniques, as the history of the microscope, telescope, or gestalt figures show. 
  2. The guiding distinctions are subject to historical change: Deception may be understood as a lie, an error, a simulation, an illusion, or a suggestion. It may be considered in opposition to truth, veracity, originality, authenticity, clarity, certainty. 
  3. The boundary figure itself exhibits variability. In modern times, the separation of deception and “truth” appears as a binary opposition, especially in parts of modern philosophy and then in the natural sciences. Something is either a deception or not, undecided at best for an observer. In contrast, we hypothesize that the supposed binarity is a historically conditioned boundary figure. Areas of appearance were considered part of reality in the prehistoric period, not as undecidedness of their observer. Consequently, instead of a binary line separating illusion and “truth”, there can also be a variable zone “in between”. 

Possible aspects

The focus invites contributions dedicated to the following topics, for example: 

  • History of technology as history of technical progress of means for deception
  • The arms race between technologies that open up possibilities for deception and those that expose deceptions 
  • Specific technologies for generating illusions
  • Specific technologies to detect deception (e.g., physiological or AI lie detectors).
  • The technologically formatted conceptual structure of deception, illusion, feint, ruse, camouflage, disinformation, and manipulation.
  • Deceptions that are intentional, as opposed to fallacies that are subliminal or expectational self-deceptions, as well as structural deceptions (media that deceive non-intentionally).
  • Differences between deception/illusion as well as deception/misrepresentation or even copy/fake are discussed and further developed using concrete technical examples.

The Jahrbuch Technikphilosophie seeks to discuss these and related questions in a special issue planned together with the journal Technikgeschichte and invites authors to send in their contributions.

Notes on submission

Submissions on the focus topic are invited by January 15, 2024. Furthermore, the Jahrbuch Technikphilosophie will publish essays in the philosophy of technology on freely chosen topics. In addition, controversies of interest to the discipline, archival texts, and reviews will be published. A two-stage peer review process (double-blind peer review) is a prerequisite for article publications. Controversies and reviews are reviewed by the editorial board. 

The text length of manuscripts should not exceed 45,000 characters. In order to receive editorial feedback on the topic proposals in advance, it is possible and encouraged to submit topic outlines (1- 2 pages) for papers or controversies until October 15, 2023.

Please submit proposals or inquiries by e-mail to the editorial office: Mail to