Themenschwerpunkt: Effizienz und Nachhaltigkeit
Technischer Fortschritt besteht nicht nur in bahnbrechenden Innovationen. Ein Großteil seines Versprechens beruht auch in der Optimierung des Bewährten und den damit verbundenen Effizienzgewinnen. Mit der Aussicht, immer mehr mit immer weniger Aufwand in immer kürzerer Zeit zu erreichen, lockt jedes Automatisierungsvorhaben. Die Rationalisierung notwendiger Arbeit und die Technisierung alltäglicher Lebensvollzüge verspricht eine Maximierung von Nutzen und Erträgen bei einer Minimierung der einzusetzenden Mittel und Ressourcen. Wie die Geschichte der Modernisierung jedoch zeigt, gehen technische Fortschritte nicht immer mit Effizienzgewinnen einher, weil die (vermeintlichen) Innovationen zur vermehrten Nutzung von Ressourcen und Infrastrukturen führen können.
Die Technikgeschichte kennt viele Beispiele des sogenannten Rebound-Effekts: So begünstigten energieeffizientere Lampen und die damit verbundene Verbilligung von Licht die Erhöhung des Stromverbrauchs in Haushalten. Sparsamere Kühlschränke und Fernsehgeräte haben auch nicht dazu beigetragen, dass insgesamt weniger Elektrizität für ihren Betrieb bereitgestellt werden muss, sondern dazu, dass Zahl und Größe der Geräte pro Haushalt zugenommen hat. Auch im Autobau werden Effizienzgewinne durch zunehmende Größe und häufigere Nutzung verprasst; das Symbolbild dafür: der SUV im Stadtverkehr. Obwohl als Phänomen gut bekannt, sind solche Rebound-Effekte ökonomisch schwer direkt zu messen und zu prognostizieren.
Ähnliche Effekte gibt es auch in anderen Bereichen, etwa der Digitalisierung der Büro- und Geistesarbeit. Hier versprechen neue Tools Arbeitsabläufe zu vereinfachen, das Verwalten von Dokumenten zu optimieren, sogar die Kreativität und am Ende also: den Output zu steigern. Doch ist zweifelhaft, ob die – durchaus messbare – Steigerung der weltweiten Textproduktion durch digitale Technologien insgesamt zu einer Qualitätssteigerung von Informations- und Wissensbeständen führt. Exemplarisch hier: ChatGPT-generierte Textstücke in zahllosen wissenschaftlichen Publikationen jüngeren Datums. Andere Beispiele ließen sich anführen.
Ob Rebound-Effekt oder klassische Techniknebenfolgen: zur Vermeidung oder Eindämmung unerwünschter Konsequenzen technologischer Innovationen sind wiederum effiziente Verfahren gefragt. Neben avancierten High-Tech-Lösungen etwa der Prognose und Systemsteuerung – z.B. in „Smart Homes“, die eine präzise Regelung des heimischen Energiebedarfs versprechen, ihrerseits aber wieder auf energieintensive Daten- und Informationszentren angewiesen sind – kommen auch dezidiert einfache Technologien und die Rückbesinnung auf ältere, im Zuge einer Innovationseuphorie für überwunden gehaltene Praktiken in den Blick. So haben etwa spektakuläre Fortschritte im Heizungs- und Kühlanlagenbau traditionelle Gebäudebauweisen ersetzt. Nachdem sich aber viele moderne Lösungen als energetisch und klimatisch unnachhaltig erwiesen haben, kommen die alten Technologien wieder als zukunftsträchtig in den Blick – etwa: schattige Innenhöfe, Luftbrunnen, begrünte Straßen und Dächer, statt durchklimatisierte Glasbauten.
Die Suche nach effizienten und nachhaltigen Lösungen moderner Probleme hat zu Initiativen wie der Solar-Punk und LowTech-Bewegung geführt. Im gleichen Geiste scheinen die mannigfaltigen Kulturen der Lebensoptimierung – die sogenannten Life Hacks, die „das Leben einfacher“ machen sollen – eine Dynamik der (leeren) Optimierung initiiert zu haben (optimisation pour l’optimisation), angesichts derer nun eine Deoptimierungskultur empfohlen wird.
Damit steht auch die Frage im Raum, ob und wenn ja, in welcher Hinsicht Nachhaltigkeit und Effizienz überhaupt Kategorien für Großsysteme mit Millionen Nutzern sein können, oder ob sie nur in einem kleineren, lokalen Anwendungsbereich zusammengehen können? In jedem Fall scheint es sich um einen Problemkomplex zu handeln, der nur interdisziplinär sinnvoll adressiert werden kann.
Der Themenschwerpunkt 2026 des Jahrbuch Technikphilosophie „Effizienz und Nachhaltigkeit“ lädt zu Einsendungen ein, die Prozesse und Dynamiken technischer Effizienzsteigerungen in historischer oder systematischer Weise betrachten, und zwar im Hinblick auf Fragen der Nachhaltigkeit technologischen Fortschritts.
Mögliche Aspekte
- Wie wären Formen einer gelungenen Verbindung von Nachhaltigkeit und Effizienz theoretisch / philosophisch gut zu fassen?
- Was wären gute historische oder aktuelle Beispiele?
- Setzt Nachhaltigkeit einen bestimmten Begriff von Effizienz voraus?
- Wie lassen sich Rebound-Effekte und ähnliche ungewollte Technikfolgen theoretisch und praktisch sinnvoll adressieren? Was sind Perspektiven und Fallstricke laufender Debatten?
- Wie verhalten sich High-Tech und Low-Tech-Ansätze in diesem Kontext zueinander?
- Wie drückt sich das Verhältnis Effizienz und Nachhaltigkeit auf lokaler/regionaler Ebene aus? Lässt sich die Wechselwirkung der beiden Faktoren hier besser kontrollieren?
- Geht Effizienz mit Nachhaltigkeit in einer Messung einher? Welche Messpraktiken müssen für eine Nachhaltigkeit angepasst werden? Welche Messpraktiken reichen nicht mehr aus?
- Was wären allgemein alternative Strategien zur gewollten und erforderlichen Effizienzsteigerung?
- Ist die Vermeidung von Rebound-Effekten eine primär technische oder kulturelle Aufgabe? Und falls technisch: Handelt es sich dann um eine andere technische Form?
Diese und wahlverwandte Fragen will das Jahrbuch Technikphilosophie in einem mit der Zeitschrift Technikgeschichte gemeinsam geplanten Schwerpunkt diskutieren und lädt Autor*innen zu Einsendungen ein.
Rahmendaten
Manuskripte können in deutscher, englischer oder französischer Sprache bis zum 20. März 2025 eingereicht werden und sollten nicht mehr als 45.000 Zeichen inkl. Leerzeichen und Fußnoten) umfassen. Ein Begutachtungsverfahren (double blind peer review) stellt die Qualität der Abhandlungen sicher. Es besteht die Möglichkeit, bis zum 15. November 2024 Themenskizzen (Abstracts) für Beiträge oder Kontroversen einzureichen, um vorab ein redaktionelles Feedback zu den Manuskriptvorschlägen zu erhalten.
Über den Schwerpunkt hinaus publiziert das Jahrbuch auch technikphilosophische Abhandlungen zu frei wählbaren Themen und Rezensionen einschlägiger Publikationen. Weitere Informationen finden sich auf der Homepage jtphil.de.
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