Mündiges Datensubjekt statt Laborratte: Rechtsschutz gegen Wissenschaftstracking

Felix Reda

Illustration: Mattias Seifert

Bei der Debatte um das Wissenschaftstracking stand bislang vor allem die Sensibilisierung für den Datenschutz im Vordergrund. Das ist ein wichtiger erster Schritt, denn nur wenn Forschende sich darüber bewusst sind, dass ihr Forschungsverhalten Klick für Klick überwacht und kommerziell verwertet wird, können sie sich dafür engagieren, dieser Praxis Einhalt zu gebieten. Doch wie so oft bei Datenschutzthemen droht sich Fatalismus breitzumachen, wenn die Debatte in der Problembeschreibung steckenbleibt.

Viel zu wenige Universitäten bieten ihren Forschenden proaktiv eine eigene, datenschutzsensible Software-Infrastruktur an, die kollaboratives wissenschaftliches Arbeiten auch institutionenübergreifend ermöglichen würde. Große Teile der wissenschaftlichen Literatur sind ausschließlich über die Portale der kommerziellen Wissenschaftsverlage verfügbar, die mit verwirrenden Cookie-Bannern aufwarten. Allein sich einen Überblick zu verschaffen, welche Daten ein Konzern wie Elsevier über einen gespeichert hat, ist ein aufwändiges Unterfangen[1]. Im ohnehin schon stressigen Forschungsalltag ist es unrealistisch, dass einzelne Forschende sich selbst vor dem Tracking durch diese Unternehmen schützen, indem sie deren Produkte meiden.

Ein Appell an die Eigenverantwortung der Forschenden allein kann also nicht die Lösung sein. Es ist deshalb folgerichtig, dass sich die Petition „Stop Tracking Science“ mit ihren Forderungen in erster Linie an die Universitäten und andere Forschungsinstitutionen richtet.[2] Forschende haben ein Recht darauf, dass öffentliche Wissenschaftseinrichtungen sie in der Ausübung ihrer Wissenschaftsfreiheit schützen.[3]Grundvoraussetzung hierfür ist die Möglichkeit, der eigenen Forschung unbeobachtet und vertraulich nachgehen zu können. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zum Recht auf Privatsphäre und dem Schutz personenbezogener Daten deutlich gemacht, dass eine Verletzung dieser Grundrechte sich indirekt auch negativ auf die Kommunikationsfreiheiten auswirkt,[4] zu denen die Wissenschaftsfreiheit zählt. Wer davon ausgehen muss, dass das eigene Surfverhalten stetig überwacht wird, läuft Gefahr, die Schere im Kopf anzulegen und bestimmte sensible Forschungsfelder womöglich gar nicht erst zu bearbeiten.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. hat sich der Verwirklichung der Grundrechte mit juristischen Mitteln verschrieben. Im Rahmen des Projekts control © beschäftigen wir uns intensiv mit der Durchsetzung der Wissenschaftsfreiheit.[5] Die Datenschutzgrundverordnung bietet ein Arsenal an Rechtsschutzmöglichkeiten, die wir gemeinsam mit Betroffenen gegen das Wissenschaftstracking ins Feld führen möchten.

Sowohl Unternehmen als auch staatliche Stellen wie Universitäten benötigen für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten der Forschenden eine Rechtsgrundlage, etwa eine explizite Einwilligung, die viele Webseitenbetreiber durch Cookiebanner einzuholen versuchen. Diese Einwilligung ist aber nur dann wirksam, wenn sie aus freien Stücken erteilt wurde – sie darf nicht zur Voraussetzung dafür gemacht werden, dass man seine Forschungstätigkeit überhaupt ausführen kann.

Fehlt es an der Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung, stehen den Forschenden mehrere Möglichkeiten offen: Eine Beschwerde bei der Datenschutzbehörde ist sowohl gegen ein Wissenschaftsunternehmen als auch gegen eine Universität möglich, die ihre Fürsorgepflicht für die Forschenden verletzt hat. Parallel dazu sieht die Datenschutzgrundverordnung auch einen Schadensersatzanspruch vor, wenn eine Stelle rechtswidrig personenbezogene Daten verarbeitet. Neben Schadensersatz können Forschende auch auf Unterlassung der rechtswidrigen Datenverarbeitung klagen. Mit Inkrafttreten der EU-Verbraucherverbandsklagerichtlinie im Sommer 2023 kommt darüber hinaus die Möglichkeit hinzu, dass Verbände im Namen der Nutzer*innen von Verlagsportalen Sammelklagen bei Datenschutzverstößen einreichen können, ohne dass die einzelnen Betroffenen selbst vor Gericht ziehen müssen. Diese und andere Rechtsschutzmöglichkeiten möchte die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. gemeinsam mit Forschenden prüfen, die sich durch das Wissenschaftstracking betroffen sehen. Der Autor dieses Beitrags freut sich diesbezüglich über Hinweise (z.B. via E-Mail oder Twitter).

Dieser Beitrag wurde unter der CC-by 4.0 international Lizenz veröffentlicht: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


[1] Vgl. Fried, Eiko I. und Robin N. Kok: “Welcome to Hotel Elsevier: You Can Check-out Any Time You like … Not.” OSF, 09.05.2022. doi:10.17605/OSF.IO/NV5T6. 

[2] Vgl. Informationszentrum Lebenswissenschaften: „Stop Tracking Science“, Petition, Deutsche Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED) 2022. https://stoptrackingscience.eu/.

[3] Vgl. Klaus-Ferdinand Gärditz: „Universitäre Industriekooperation, Informationszugang und Freiheit der Wissenschaft. Eine Fallstudie, verfasst im Auftrag der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V.“, in: Wissenschaftsrecht. Beiheft 25 (2019). doi:10.1628/978-3-16-157605-8.

[4] Vgl. EuGH, Fall C-293/12 Digital Rights Ireland, Schlussanträge GA Cruz Villalón, Rn. 52.

[5] Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V.: „Unabhängige Wissenschaft braucht Transparenz“, https://freiheitsrechte.org/themen/demokratie/unabhangige-wissenschaft-braucht-transparenz (2022).