Retroerfassung, nachträgliche Anreicherung und Publikation von Metadaten. Oder: Wie mein Name in die Bibliotheksmaske kam und der digitale Bibliotheks-Katalog mich heute im www als lesbische Redakteurin „outed“

Petra Gehring

Illustration: Matthias Seifert

Ich bin Wissenschaftlerin, habe aber auch ein politisches Leben. Dieses hat insbesondere in den 1990er Jahren zu allerlei namentlich gezeichneten Texten geführt, die in auf kleine Öffentlichkeiten zugeschnittenen Print-Zeitschriften erschienen sind. Ebenso habe ich mich auch in (grauen und nicht-grauen) Zeitschriftenredaktionen engagiert, in welchen mein Name als Mitwirkende nur irgendwo „innendrin“ genannt worden ist. Wichtig: Wir sprechen von Zeitschriften, die lediglich gedruckt erschienen sind – und von welchen man damals als Autorin nie erwartet hätte, dass sie nachträglich als Volltext digitalisiert werden, um sie dann weltweit als Medium anzubieten. Und wir sprechen von Zeitschriften, die in klassischen Bibliothekskatalogen – wo sie überhaupt angeschafft worden waren – auch nur mit ISSN und Titel erfasst worden sind.

Ich halte fest, dass ich meinen Namen in der Print-Welt jedenfalls nie versteckt habe. Weder bereue ich meine Texte, noch finde ich sie heute schlecht. Alles ist namentlich gezeichnet. Allerdings ist man in den 1990er Jahren auch mit politisch heiklen Texten und insbesondere mit der Nennung als Mitwirkende an Zeitschriften noch recht sorglos umgegangen. In der Welt des gedruckten Vertriebs von Schriften ist der Kreis der Leserinnen und Leser ja einigermaßen abschätzbar. Man schreibt nicht für den Globus, sondern für ein Publikum. Zumeist ein kleiner, jedenfalls vorgebildeter, tendenziell auch solidarischer Kreis. Vielleicht wird auch mal der Staatsschutz das lesen. Naja gut, dachte man damals. Jedenfalls: Im Blatt zu publizieren und vor allem das Engagement in der „Redaktion“ hieß nicht, dass potenziell ALLE – nicht nur Nachbarn, Kollegen, Studierende, Bibliotheksgänger, sondern tatsächlich: weltweit jeder Internet­nutzer – dies mit wenigen Klicks recherchieren können.

Zu meiner Überraschung finde ich nun aber seit einiger Zeit in etlichen deutschen Bibliotheken und damit sowohl in den deutschlandweiten Verbundkatalogen als auch in den Beständen der weltweiten Meta-Suchmaschine „Worldcat“ die Einzelhefte der seinerzeit im Selbstverlag und ausschließlich als Print-Organ (wenngleich mit ISSN) produzierten und vertriebenen Zeitschrift IHRSINN („Radikal­feministische Lesbenzeitschrift“) verzeichnet. Und jenseits der Metadaten, die auch in vor-digitalen Katalogen gestanden hätten bzw. mit denen seinerzeit zu rechnen war, werden zusätzlich nun erstens neben den Bandnummern die Schwerpunkt­themen im Katalog aufgeführt, und zweitens werden nun auch die „Red.“ (Redaktion? Redakteurin?) sowie „Mitarb.“ (Mitarbeiterin?) gleichsam heftscharf namentlich genannt.

Meinen Namen finde ich etwa (siehe Abb.) unter dem Titel GegenGewalt als „Red.“ im Katalog-Treffer für eine IHRSINN-Ausgabe von 1997. Bibliographisch hat das alles seine Richtigkeit. Ich schaue im Print-Exemplar nochmal nach: Tatsächlich listet das Impressum (als „Redaktion“) die Namen von sechs Frauen auf, meiner steht aus alphabetischen Gründen vorn. Freilich steht da weder „Autorin“ noch „Herausgeberin“ (also eine urheberschaftliche Rolle) – sondern nur eine presserechtliche, eben: „Redaktion“. Oder sogar nur „Mitarbeit“. Die Herausgeberin der Zeitschrift war nämlich, damals sehr bewusst beschlossen, lediglich ein Verein: „Ihrsinn e.V.“ (was so auch im Impressum steht). Und die Redaktion wiederum – ja sind das denn sechs Einzelpersonen? Nein, so dachten wir natürlich nicht. Sondern die Redaktion ist ein Kollektiv. Wir sind presserechtlich verantwortlich, aber „geoutet“ sind wir als Redakteurinnen nicht. So dachte man/frau jedenfalls in den 1990er Jahren. Vor allem aber: auf die Erfassung und digitale Publikation aller dieser Feindaten eines Impressums waren wir nicht eingestellt.

Gleichwohl scheint nicht nur inzwischen die vormals „analoge“ Katalogangabe retrodigitalisiert und eben global zugänglich „publiziert“ worden zu sein (das scheint im Rückblick der springende Punkt: die Inhalte von Print-Katalogen waren kein Publikat!). Sondern es hat auch eine Erweiterung der (und zwar nun digital erfassten und digital distribuierten) Metadatenfelder stattgefunden zu haben. Es gibt die Rolle „Redakteurin“. Und diese wird nicht nur ‚still‘ erfasst, sondern das System gibt sie eben auf dem Bildschirm auch aus.

Ich ergänze noch, dass die Bibliothekskataloge (vermutlich aufgrund automatisierter Großschreibung zu Zeilenbeginn) den Titel des fraglichen Heftes falsch abbilden. Das Heft 17/1997 der IHRSINN hieß nämlich nicht GegenGewalt, sondern gegenGewalt – wie man leicht sehen kann, ein durchaus sinnentstellender Fehler. Nun lebe ich in einer glücklichen, gänzlich vorurteilsfreien, toleranten Demokratie. Vermutlich wäre nichts in meinen akademischen Leben – kein Begutachtungsvorgang, kein Ergebnis einer Bewerbung, keine Evaluation, keine Beratungsfrage, keine Einladung irgendwohin, kein Eintrag auf „meinprof.de“ und auch kein Internet-Shitstorm – anders verlaufen, hätte man mich stets als eine aus dem IHRSINN-Redaktionskollektiv identifizieren können. Ich nehme das jetzt jedenfalls mal an.

Was freilich, wenn ich Türkin wäre? Oder Afghanin? Oder einfach nur schüchtern? Oder wenn in einigen Jahren dann doch vielleicht meine Einreise in bestimmte Länder von Computern genehmigt werden wird, die vorher den WorldCatchecken? Einreiseverbote soll es ja schon wegen Witzen auf Twitter gegeben haben.[1] Oder vor allem: Was ist, wenn ich mich nun frage, ob es für eine afghanische Freundin zum Problem werden könnte, mich gut zu kennen?

Datenschutz, übernehmen Sie! Und folgendes sei bitte auch als Schnappschuss aus der Betroffenensicht an die beteiligten Bibliotheksmanager*innen übermittelt: Irgendwann in den 2010er Jahren hat man Redaktionsmitgliedschaften für ein bloß „technisches“ Datum erklärt – Einwilligungen aus den 1990er Jahren aber nicht erfragt und dennoch zum Beispiel Redaktions-Angaben „(Red.)“ im Impressum als ‚irgendwie auch Autorschaft‘ (das heißt, informationstechnisch als „Personen“) zu verbuchen begonnen. Die Netzindustrie will Eigennamen.

Auch bibliographische Angaben verändern aber ihren Sinn, wenn sie aus einem Print-Impressum über die digitale Publikation eines Katalogs ins Internet wandern. Ebenso verändern Namensnennungen ihren Sinn, wenn Kataloge nicht nur (anstatt zum Beispiel allein wissenschaftlicher Bestände) „alle“ (also etwa auch die grauen, politischen oder populären) Publikationen einer Autorin gleichen Namens anzeigen (identifizierbar als natürlichen Person – vgl. den Beitrag zur Autor-Identifikation), sondern man retrospektiv die bibliographische Erfassung erweitert und auch Namen erfasst werden, die gar keine Autoren-Angaben sind. Auch hier ließe sich weiterdenken: Was, wenn die Datenbankerfassung auch noch alle Pseudonyme von Autor:innen verknüpft und bei Abfragen mit ausgibt? Dann würde eine schreib-politische Differenzierung (welche die schriftstellerische Freiheit symbolisiert, aber auch verbürgen soll) daten-politisch unterlaufen. Die (guten) Gründe für ein (zumindest für Fragen der Person und von Persönlichkeitsrechten) sensibles Identitätsmanagement müssen nun den (stärkeren) Gründen für ein Informationsmanagement weichen.

Personenbezogene, datenschutzrechtlich kritisch zu nennenden Daten sind im Falle der vermeintlich unschuldigen Veröffentlichung jener Bibliotheksangabe „Red. …“ doch wohl durchaus im Spiel: Hier geht es konkret um sexuelle Orientierung und zudem um das Thema „Gewalt“. Ob (nur) Autorinnen und Herausgeberinnen oder auch weitere Namen aus dem Impressum „retro“-öffentlich werden: Bibliotheken haben augenscheinlich die Definitionsmacht. Einwilligung? Oder auch nur Information? Betroffene gibt es, so scheint es, nicht. – Was wäre, wenn ich nun noch verriete, dass mein eigener Beitrag im Heft sogar „Gegengewalt“ heißt … ?

http://portal.hebis.de/servlet/Top/frames/hitsframe [7.1.2022]


[1] https://www.zeit.de/digital/internet/2012-01/dhs-verweigert-einreise-wegen-twitter [20.1.2020]